StartseiteCardioception

Der Begriff Cardioception meint Herzwahrnehmung. Nicht in einem passiven Sinne eines etwa störenden Herzstolperns (Palpitation, Tachyarhythmie), sondern in der fruchtbaren Weise aktiver Ausrichtung des Wahrnehmungsfokus auf die Herzbewegung. Unser Gehirn ist das Organ zum Begreifen. Dies ist wörtlich zu verstehen. Der menschliche Neocortex ist von der Hand dominiert. Dieses zum Begreifen fähige Gehirn hat uns in Riesenschritten zum Homo technologicus gemacht. Wir haben zunächst großes handwerkliches Geschick dank unserer Hände entwickelt, und schließlich für das so Begriffene eine technologische Wirklichkeit errichtet. Wir stehen in der Gefahr, dass in dieser Weltsicht die nicht mit den Händen greifbaren Bewegungen des Menschen nicht mehr vorkommen oder auf Begreifbares (das heißt Materielles) reduziert werden. Mitgefühl, Freude, Verzeihen, Hoffnung, Verehrung sind nicht begreifbar und doch letztendlich wesentlicher, als das, was ich anfassen und handhaben kann.

Kann uns paradoxerweise die Errungenschaft des Homo technologicus dabei helfen, uns den Zugang zur wesentlichen Wahrnehmungsschicht des Herzens zu erleichtern?

Ohne allzu große Vereinfachung könnte man das Gehirn als ein Wahrnehmungsorgan für Vergangenes bezeichnen. Damit ist nicht nur die Erinnerungsfähigkeit gemeint, tatsächlich ist alles, was wir im Spiegel des Gehirns als Gegenwart erleben, immer schon Vergangenheit. Weiter oben wurde gezeigt, dass die erlebte Bewusstseinsgegenwart immer nach dem Feedback des Körpers und dem Abgleich mit vorher Erfahrenem errechnet und »rückdatiert« wird.

Beim Herzen ist dies anders. Alles lebendige Flüssige bildete einen einzigen komplexen Zusammenhang, zu dem auch das Herz selbst gehört. Seine Wahrnehmungsart unterscheidet sich von derjenigen des Gehirns. Während im zentralen Nervensystem Information - wenn auch komplex – gespiegelt wird, ist die Herzwahrnehmung eine Selbstwahrnehmung der Eigentätigkeit, hinter der stets der Impuls zum Ausgleich von Extremen besteht.

Betrachten wir dies im Bild eines tanzenden Paares. Über das Auge mit Informationen versorgt, würde das Gehirn registrieren, wenn der Tanzpartner - nach hinten fallend - sich von uns wegbewegt. Die Eigenwahrnehmung unserer eigenen verstärkten Muskeltätigkeit hingegen würde - Wahrnehmung und Handlung ineins - die Gleichgewichtslage der Tanzenden wiederherstellen. Diese Eigentätigkeit wahrzunehmen gibt mir kein (Vorstellungs-) Bild einer mir äußerlichen Umwelt. Vielmehr erfahre ich mich als aktiv tätigen Mitmenschen meiner Mitwelt.

So arbeitet das Herz.

Solange der Mensch gesund und offen für seine Mitwelt ist, passt das Herz - mit jedem einzelnen Herzschlag neu - seine Schlagfrequenz an seine lebendig flüssige Mitwelt an. In nicht begreifbarer aber unmittelbar einleuchtender Weise wird es damit zum Wahrnehmungsorgan für alles, was sich im lebendigen Leib abspielt. Durchschnittlich vergehen 0,8 Sekunden zwischen zwei Herzschlägen. Diese Zeit wird als IBI (Inter Beat Interval) bezeichnet und in Millisekunden angegeben. 0,8 Sekunden Abstand zwischen zwei Herzschlägen entsprechen einer Herzfrequenz von 75 Schlägen pro Miniute (beats per minute BPM) und einem IBI von 800 msec (Millisekunden). Verlängert sich dieses Intervall von Herzschlag zu Herzschlag, dann wird die Pulsfrequenz langsamer, verkürzt sie sich, schlägt das Herz schneller.

Zuerst wurde die Bedeutung dieses physiologischen Schwankens der Herzfrequenz als ein Zeichen für Gesundheit der Feten am Ende der Schwangerschaft entdeckt. Man beobachtete, dass ein starrer, gleichmäßiger Puls mit einer hohen Gefährdungslage der Kinder im Mutterleib einherging. Waren die Abstände der Herzschläge und damit die Frequenz variabel, so wies dies auf eine gute Gesundheit hin. Freilich sind diese Erkenntnisse nur für die wissenschaftliche Medizin der Moderne neu. Die Pulsdiagnostik der chinesischen Erfahrungsheilkunde weist bereits seit einigen Tausend Jahren darauf hin, dass ein starr regelmäßiger Puls auf eine krankhafte Situation hindeutet. Die Theorie der modernen westlichen Medizin bestand hingegen noch bis vor 30 Jahren darauf, dass das gesunde Herz eines Menschen über 35 Jahren regelmäßig schlägt, und bezeichnete die durch die Wechselwirkung von Atmung und Herzschlag ausgelöste Hauptvariabilität als respiratorische Sinusarhythmie. Diese galt (und gilt manchmal immer noch) als Hinweiszeichen für neurovegetative Labilität.

Diese Auffassung hat sich radikal verändert, seit man weiß, dass eine große Anzahl gesundheitlicher Faktoren mit der Variabilität der Herzfrequenz (HRV – Heart Rate Variability) positiv korreliert ist. Nun ist Variabilität alleine noch kein allein bestimmender Faktor von Gesundheit, wie man leicht an den Folgen eines nur unregelmäßigen Herzschlages (Arhythmie) erkennen kann. Es braucht also in der Variabilität wiederum eine Zusammenhang schaffende Ordnung, die man als Kohärenz bezeichnet.

Vier mögliche Kombinationen kommen in unterschiedlichen Gewichtungen vor: niedrige Variabilität und niedrige Kohärenz: der fatale Zustand des Zusammenbruch der Energieressourcen.

niedrige Kohärenz und hohe Variabilität: die pathologische Entwicklung in Richtung Chaos

niedrige Variabilität und hohe Kohärenz: die pathologische Entwicklung in Richtung Starrehohe Kohärenz bei hoher Variabilität: der Zustand, der mit hohem Energielevel und Gesundheit im Sinne der Fähigkeit zum Gesunden einhergeht.